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25 Jahre Digitalagenturen – ein Rückblick

Ungefähr heute vor 25 Jahren entschloss ich mich, nach einem langen Studium der Geschichte und Anglistik nicht länger auf Vater Staat zu zählen und mein Schicksal von nun an selbst zu bestimmen. Für ein Referendariat und das 2. Examen bestanden aktuell 2 Jahre Wartezeit nach dem Studium. Eigentlich eine Frechheit, aber in der Rückschau war es mein großes Glück. Die Arbeit an Nachhilfeschulen hatte mir das Unterrichten schon etwas verleidet. Mein Entschluss stand fest: Ich mache mein Hobby zum Beruf.  

Aber was für ein Hobby eigentlich? Ich hatte gerade vor kurzem erst damit begonnen, mich in HTML, CSS und JavaScript einzulesen. Ein Bekannter hatte mir einen ersten Auftrag vermittelt: Eine Seite für einen Reifenhändler. „Wie soll die aussehen?“ „So, wie im Anzeigenblättchen!“ Super Konzept. Es entstand eine frei geschaffene Webseite im damals üblichen Tabellenformat mit einem kleinen Gabelstapler, der oben hin und her fuhr. Ich bekam dafür 500DM. 

Ich bewarb mich in Hamburg bei einigen Firmen. Unter anderem AOL, XPlain, G & J, US-Web/cks und ich bekam genauso viele Absagen. Damals wusste man noch nicht genau, was man denn eigentlich suchen würde. Das Berufsbild war komplett neu. Ich erinnere mich an ein Telefonat mit Gruner & Jahr, in dem sich herausstellte, dass sie keinen Web-Entwickler, sondern einen Online-Redakteur suchten. 

Dann stellte ich meine Bewerbung einfach online. Schwarz-weiß mit fancy Rollover-Buttons, wie es damals üblich war. Und ich hatte das Glück, dass einer der Gründer vom denkwerk in Köln, Axel Schmiegelow, auf sie aufmerksam wurde. So hatte ich mit 31 Jahren im April 1999 mein allererstes Bewerbungsgespräch mit dem kleinen Bruder Erik, damals 23 Jahre jung, in einem Café in der Mönckebergstraße in Hamburg. Das „Office“, ein 34qm Büro mit Vorraum ohne WC am alten Fischmarkt war noch nicht fertig. 

Ich stellte schnell fest, als ich die schon vorhandenen Seiten von Ritter Sport, Glashütte, Gerresheimer & Co sah, dass ich null Ahnung hatte. Und wenn ich hier etwas werden wollte, müsste schnell was passieren.  

Also machte ich ein paar Monate lang die Nacht zum Tag, bestellte jedes Buch, das wir im Office kauften für zu Hause, lernte, lernte, lernte. 

Ich überstand mein Praktikum, wurde zunächst mit halbem Gehalt eines vollwertigen Entwicklers entlohnt, was sich bereits nach 2 Monaten ändern sollte. 

Nach einem knappen Jahr wurde ich bereits Teamleiter der Web-Entwickler. Ein paar Jahre später vor der nächsten Re-Strukturierung waren es 35 Entwickler. 

Nach 10 Jahren wurde ich Director. 

Oft habe ich mich gefragt, was mich antreibt. Was ist das, was einen mehr arbeiten lässt als andere? Was treibt einen am Wochenende oder nachts an den Schreibtisch, an die Tastatur? 

In erster Linie ist es die Lust. Der Spaß an der Arbeit. Der Hunger nach Erfolg. Der Wille, zusammen mit den Kollegen etwas Großartiges erreichen zu wollen. Etwas zu schaffen, was es vielleicht vorher noch nicht gab. 

In den ersten Jahren landeten „schwere Fälle“, also Designideen, die schwer umzusetzen waren, meist bei mir auf dem Tisch. „Geh zum Gutsche, der kriegt das schon irgendwie hin“. „Geht nicht – gibt’s nicht“, war das Motto.   

Bereits 1999 haben wir die erste E-Commerce Applikation ins Netz gestellt. Bucherreisen.de war ein voller Erfolg. Die Booking-Engine kam vom Chef, die Webseite von mir. Heute undenkbar.  

Später durften wir den ganzen Thomas Cook Konzern betreuen.  

Kurz darauf kam Nokia dazu. Die Älteren erinnern sich? Die mit den tollen Telefonen im Prä-Smartphone Zeitalter.  Ich weiß noch, wie einmal ein Nokia Produktmanager in die Agentur kam, stolz wie Oskar: „Wir können jetzt Videos abspielen“. Damals großes Kino. Kurze Zeit später stand eine XHTML Seite optimiert für Telefone mit Video-Einbettung im Netz. 

Dann kam ein für die Post strategisches Projekt, für das ich ganze 4 Jahre vor Ort in Bad Godesberg arbeiten sollte. Für uns damals neu und unbekannt. Das Produkt wurde kein Erfolg, aber ich durfte mit teils 80 Entwicklern zum ersten Mal Scrum kennenlernen. Durch Boris Gloger persönlich. Großartige Zeit. 

Dann kam das erste große responsive Re-Design Projekt für einen großen Baumarkt. Aufwandstechnisch gesehen ein Desaster. Aber man hatte wieder viel gelernt. Genauso wie im nächsten weltweiten Rollout eines Muti-Brand Shops für Messer, Töpfe und Pfannen „Made in Solingen“.  

Nach über 20 Jahren habe ich was Neues versucht. Privat war viel im Umbruch. Bei der nächsten Station habe ich viel gelernt, aber zuletzt blieb der Laden erfolglos und die meisten der teuren Führungskräfte gingen nach 1.5 Jahren wieder. So auch ich. 

Beruflich konnte ich mein Portfolio erweitern. Ich habe mich privat in den Ferien zum Scrum Master und Product Owner zertifizieren lassen und erfolgreich Scrum im Unternehmen eingeführt. 1,5 Jahre durfte ich mehrere Teams betreuen und habe mich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Ich habe nicht nur mehrere Entwicklungsteams angeleitet, sondern auch dem Rest der Kollegen erklärt, wie es funktioniert. Als ich anfing, gab es ein Kanban Board, auf dem sich in der Mitte viele, viele Tasks tummelten, die einfach nicht fertig wurden. „Lasst uns Scrum versuchen. Da geht es darum, die Dinge wirklich fertig zu machen“. Eine Steilvorlage. 

Meine aktuelle Stelle fand ich über einen Facebook Post und einen alten Bekannten aus dem denkwerk. Meine Erfahrungen hier weiter geben zu können, macht mir jeden Tag große Freude. 

Was ist es noch, was einen antreibt, außer Erfolg? Ich denke, jeder Mensch freut sich über Anerkennung. Fame & Glory.  

Als Führungskraft wird man nicht immer geliebt. „Dafür ist ja das Zuhause da“, pflegte eine liebe HR-Kollegin immer zu sagen. Aber einige schöne Aussagen über mich waren so schön, dass ich sie immer in meinem Herzen tragen werde.  

Mein Team bei der Post, knapp 20 Personen aus Front-End, JavaScript und PHP-Experten wählten mich zu ihrem „Fels in der Brandung“. Kann man etwas schöneres über seinen Chef sagen? Dabei habe ich mich nie solcher verstanden. Eher als jemanden, der etwas mehr weiß und zu dem man immer hingehen kann. 

Bei meinem ersten Versuch, Scrum in ein Unternehmen einzuführen, traf ich auf viele Zweifler. Wie so oft hatte schon jemand vor mir erfolglos sein Glück versucht und es nicht richtig erklärt. Bei mir funktionierte es und am Ende nahm mich ein Kollege zur Seite und bedankte sich bei mir mit den Worten: „Danke, ich habe jetzt endlich verstanden, wie man zusammen im Team arbeitet!“ 

Mein aktueller Job fing mitten in Corona an.  „Mobiles Arbeiten“ war für alle neu und steinig. Wir haben alle angepackt und die Seuche gut überstanden. 

Im ersten Jahresgespräch attestierte mir mein Geschäftsführer, ich würde „Energie wie ein Löwe“ ausstrahlen. Ich denke, ich bin ein bisschen rot geworden. Aber recht hatte er. So ist das, wenn man mit Leidenschaft seinen Beruf ausübt.