Archiv der Kategorie: Personal Growth

Warum nach 25 Jahren noch eine Ausbildung zum Systemischen Agile Coach?

In meine berufliche Karriere bin ich mehr oder weniger „reingeschlittert“.
Klar, ich hatte Vorkenntnisse aus dem Lehramtsstudium, 2 Jahren Reserveoffiziersausbildung. Aber was befähigt jemanden dazu Menschen zu führen? Und dann noch einen Quereinsteiger wie mich? Viel habe ich durch Intuition, Literatur und Ausprobieren hinbekommen.


Als ich mich 2024 nach 14 Jahren Director Technology als Agile Leader, Scrum Master & Coach selbständig machte, wollte ich neben dem Advanced Scrum Master noch eine andere Grundlage.

Der Übergang vom „Manager“ zum „Agile Leader“ hatte irgendwie schleichend stattgefunden. So richtig festmachen kann man es gar nicht. Das erste Scrum Projekt fand Ende 2008/2012 statt. Damals wurden wir von @Boris Gloger geschult. Ziemlich lange. Aber offiziell als Scrum Master habe ich zuerst 2019 gearbeitet. Seit diesem Zeitpunkt habe ich auch intensiver mit Scrum, Kanban, Lean & Co aus der Sicht des Agile Coaches/Scrum Masters auseinandergesetzt. Bis dato hatte ich mich vornehmlich um agile Software Entwicklung aus technischer Sicht gekümmert.
Ein Blick auf das Agile Coaching Growth Wheel zeigte mir, dass eine Vertiefung im Bereich Coaching Sinn machen könnte.

Agile Coach Growth Wheel


Als ich mein Netzwerk nach Erfahrungen im Bereich „Agile Coach“ fragte, kam die Antwort: Versuche es doch einmal mit der Ausbildung zum Systemischen Agile Coach
Nach einer ausgiebigen Recherche und einer Informationsveranstaltung entschied ich mich für @InKonstellation. Die Ausbildung hier ist von den wichtigen Verbänden anerkannt und man kann sich auch von der IHK oder dem TÜV zertifizieren lassen.
Jetzt, nachdem die wichtigsten Module der Ausbildung hinter mir liegen, muss ich sagen: Keine andere Weiterbildung vorher hat mich so stark vorangebracht.

Als Führungskraft habe ich gelernt, Entscheidungen zu treffen und inhaltliche Vorgaben zu machen. Zwar habe ich immer versucht, meine Mitarbeiter und Kollegen mit einzubinden, aber die Haltung eines Coaches ist doch noch einmal etwas ganz anderes und es lohnt sich die Auseinandersetzung damit.
Ein Coach nimmt eine neutrale, wertschätzende und ressourcenorientierte Haltung ein. Statt Lösungen vorzugeben, begleitet er den Klienten dabei, eigene Antworten zu finden und neue Perspektiven zu entwickeln. Dies fördert Eigenverantwortung, Selbstorganisation und nachhaltige Veränderungsprozesse.

Ein hilfreiches Modell zur Veranschaulichung dieser Haltung ist das Inselmodell, das verdeutlicht, dass jeder Mensch seine eigene „Insel“ aus Erfahrungen, Überzeugungen und Wahrnehmungen hat. Als Coach geht es nicht darum, den Klienten auf die eigene Insel zu ziehen, sondern ihm durch gezielte Fragen und aktives Zuhören zu helfen, seine eigene Insel zu reflektieren und neue Brücken zu anderen Sichtweisen zu bauen.

Dies steht im Einklang mit dem Konstruktivismus, der besagt, dass jeder Mensch seine eigene Realität konstruiert. Ein systemischer Coach geht daher nicht von einer objektiven Wahrheit aus, sondern hilft dem Klienten, seine eigene Wirklichkeitskonstruktion zu hinterfragen und alternative Handlungsmöglichkeiten zu entdecken.

Ein weiteres für mich wichtiges Konzept ist die Lösungsfokussierte Kurzzeittherapie von Steve de Shazer, die auch im Coaching Anwendung findet. Sie konzentriert sich weniger auf Probleme und deren Ursachen, sondern auf Lösungen und bereits vorhandene Ressourcen. Der Coach unterstützt den Klienten dabei, kleine Veränderungen anzustoßen, die große Wirkung haben können – ganz nach dem Prinzip: „Repariere nicht, was nicht kaputt ist. Finde heraus, was funktioniert, und tue mehr davon. Wenn etwas nicht funktioniert, tue etwas anderes.“

Durch diese systemischen Ansätze wird deutlich, dass Coaching nicht nur für Einzelpersonen, sondern auch für agile Teams und Organisationen wertvoll ist, da es hilft, eigenständige Lösungen zu entwickeln, Selbstorganisation zu stärken und Veränderungsprozesse nachhaltig zu begleiten.

Die Coaching Ausbildung ist ein Baustein, der meine eigene persönliche Entwicklung noch einmal vorangebracht und mit der Haltung eines Coaches etwas in meinen Koffer gepackt, das vielleicht bisher gefehlt hat.

25 Jahre Digitalagenturen – ein Rückblick

Ungefähr heute vor 25 Jahren entschloss ich mich, nach einem langen Studium der Geschichte und Anglistik nicht länger auf Vater Staat zu zählen und mein Schicksal von nun an selbst zu bestimmen. Für ein Referendariat und das 2. Examen bestanden aktuell 2 Jahre Wartezeit nach dem Studium. Eigentlich eine Frechheit, aber in der Rückschau war es mein großes Glück. Die Arbeit an Nachhilfeschulen hatte mir das Unterrichten schon etwas verleidet. Mein Entschluss stand fest: Ich mache mein Hobby zum Beruf.  

Aber was für ein Hobby eigentlich? Ich hatte gerade vor kurzem erst damit begonnen, mich in HTML, CSS und JavaScript einzulesen. Ein Bekannter hatte mir einen ersten Auftrag vermittelt: Eine Seite für einen Reifenhändler. „Wie soll die aussehen?“ „So, wie im Anzeigenblättchen!“ Super Konzept. Es entstand eine frei geschaffene Webseite im damals üblichen Tabellenformat mit einem kleinen Gabelstapler, der oben hin und her fuhr. Ich bekam dafür 500DM. 

Ich bewarb mich in Hamburg bei einigen Firmen. Unter anderem AOL, XPlain, G & J, US-Web/cks und ich bekam genauso viele Absagen. Damals wusste man noch nicht genau, was man denn eigentlich suchen würde. Das Berufsbild war komplett neu. Ich erinnere mich an ein Telefonat mit Gruner & Jahr, in dem sich herausstellte, dass sie keinen Web-Entwickler, sondern einen Online-Redakteur suchten. 

Dann stellte ich meine Bewerbung einfach online. Schwarz-weiß mit fancy Rollover-Buttons, wie es damals üblich war. Und ich hatte das Glück, dass einer der Gründer vom denkwerk in Köln, Axel Schmiegelow, auf sie aufmerksam wurde. So hatte ich mit 31 Jahren im April 1999 mein allererstes Bewerbungsgespräch mit dem kleinen Bruder Erik, damals 23 Jahre jung, in einem Café in der Mönckebergstraße in Hamburg. Das „Office“, ein 34qm Büro mit Vorraum ohne WC am alten Fischmarkt war noch nicht fertig. 

Ich stellte schnell fest, als ich die schon vorhandenen Seiten von Ritter Sport, Glashütte, Gerresheimer & Co sah, dass ich null Ahnung hatte. Und wenn ich hier etwas werden wollte, müsste schnell was passieren.  

Also machte ich ein paar Monate lang die Nacht zum Tag, bestellte jedes Buch, das wir im Office kauften für zu Hause, lernte, lernte, lernte. 

Ich überstand mein Praktikum, wurde zunächst mit halbem Gehalt eines vollwertigen Entwicklers entlohnt, was sich bereits nach 2 Monaten ändern sollte. 

Nach einem knappen Jahr wurde ich bereits Teamleiter der Web-Entwickler. Ein paar Jahre später vor der nächsten Re-Strukturierung waren es 35 Entwickler. 

Nach 10 Jahren wurde ich Director. 

Oft habe ich mich gefragt, was mich antreibt. Was ist das, was einen mehr arbeiten lässt als andere? Was treibt einen am Wochenende oder nachts an den Schreibtisch, an die Tastatur? 

In erster Linie ist es die Lust. Der Spaß an der Arbeit. Der Hunger nach Erfolg. Der Wille, zusammen mit den Kollegen etwas Großartiges erreichen zu wollen. Etwas zu schaffen, was es vielleicht vorher noch nicht gab. 

In den ersten Jahren landeten „schwere Fälle“, also Designideen, die schwer umzusetzen waren, meist bei mir auf dem Tisch. „Geh zum Gutsche, der kriegt das schon irgendwie hin“. „Geht nicht – gibt’s nicht“, war das Motto.   

Bereits 1999 haben wir die erste E-Commerce Applikation ins Netz gestellt. Bucherreisen.de war ein voller Erfolg. Die Booking-Engine kam vom Chef, die Webseite von mir. Heute undenkbar.  

Später durften wir den ganzen Thomas Cook Konzern betreuen.  

Kurz darauf kam Nokia dazu. Die Älteren erinnern sich? Die mit den tollen Telefonen im Prä-Smartphone Zeitalter.  Ich weiß noch, wie einmal ein Nokia Produktmanager in die Agentur kam, stolz wie Oskar: „Wir können jetzt Videos abspielen“. Damals großes Kino. Kurze Zeit später stand eine XHTML Seite optimiert für Telefone mit Video-Einbettung im Netz. 

Dann kam ein für die Post strategisches Projekt, für das ich ganze 4 Jahre vor Ort in Bad Godesberg arbeiten sollte. Für uns damals neu und unbekannt. Das Produkt wurde kein Erfolg, aber ich durfte mit teils 80 Entwicklern zum ersten Mal Scrum kennenlernen. Durch Boris Gloger persönlich. Großartige Zeit. 

Dann kam das erste große responsive Re-Design Projekt für einen großen Baumarkt. Aufwandstechnisch gesehen ein Desaster. Aber man hatte wieder viel gelernt. Genauso wie im nächsten weltweiten Rollout eines Muti-Brand Shops für Messer, Töpfe und Pfannen „Made in Solingen“.  

Nach über 20 Jahren habe ich was Neues versucht. Privat war viel im Umbruch. Bei der nächsten Station habe ich viel gelernt, aber zuletzt blieb der Laden erfolglos und die meisten der teuren Führungskräfte gingen nach 1.5 Jahren wieder. So auch ich. 

Beruflich konnte ich mein Portfolio erweitern. Ich habe mich privat in den Ferien zum Scrum Master und Product Owner zertifizieren lassen und erfolgreich Scrum im Unternehmen eingeführt. 1,5 Jahre durfte ich mehrere Teams betreuen und habe mich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Ich habe nicht nur mehrere Entwicklungsteams angeleitet, sondern auch dem Rest der Kollegen erklärt, wie es funktioniert. Als ich anfing, gab es ein Kanban Board, auf dem sich in der Mitte viele, viele Tasks tummelten, die einfach nicht fertig wurden. „Lasst uns Scrum versuchen. Da geht es darum, die Dinge wirklich fertig zu machen“. Eine Steilvorlage. 

Meine aktuelle Stelle fand ich über einen Facebook Post und einen alten Bekannten aus dem denkwerk. Meine Erfahrungen hier weiter geben zu können, macht mir jeden Tag große Freude. 

Was ist es noch, was einen antreibt, außer Erfolg? Ich denke, jeder Mensch freut sich über Anerkennung. Fame & Glory.  

Als Führungskraft wird man nicht immer geliebt. „Dafür ist ja das Zuhause da“, pflegte eine liebe HR-Kollegin immer zu sagen. Aber einige schöne Aussagen über mich waren so schön, dass ich sie immer in meinem Herzen tragen werde.  

Mein Team bei der Post, knapp 20 Personen aus Front-End, JavaScript und PHP-Experten wählten mich zu ihrem „Fels in der Brandung“. Kann man etwas schöneres über seinen Chef sagen? Dabei habe ich mich nie solcher verstanden. Eher als jemanden, der etwas mehr weiß und zu dem man immer hingehen kann. 

Bei meinem ersten Versuch, Scrum in ein Unternehmen einzuführen, traf ich auf viele Zweifler. Wie so oft hatte schon jemand vor mir erfolglos sein Glück versucht und es nicht richtig erklärt. Bei mir funktionierte es und am Ende nahm mich ein Kollege zur Seite und bedankte sich bei mir mit den Worten: „Danke, ich habe jetzt endlich verstanden, wie man zusammen im Team arbeitet!“ 

Mein aktueller Job fing mitten in Corona an.  „Mobiles Arbeiten“ war für alle neu und steinig. Wir haben alle angepackt und die Seuche gut überstanden. 

Im ersten Jahresgespräch attestierte mir mein Geschäftsführer, ich würde „Energie wie ein Löwe“ ausstrahlen. Ich denke, ich bin ein bisschen rot geworden. Aber recht hatte er. So ist das, wenn man mit Leidenschaft seinen Beruf ausübt.